Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 26. September 2024 (Aktenzeichen: L 21 U 40/21) entschieden, dass eine Arbeitnehmerin nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, wenn sie vergessene, regelmäßig eingenommene Medikamente aus ihrem Auto holt und auf dem Rückweg vom Parkplatz zu ihrer Arbeitsstätte stürzt.
In dem verhandelten Sachverhalt ging es um eine 60-jährige Klägerin, die an einem Arbeitstag im Juli 2020 kurz vor 6 Uhr morgens ihre Frühschicht antrat. Sie war mit ihrem Pkw zur Arbeit gefahren und hatte diesen in der Nähe auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt. Gegen 9:30 Uhr bemerkte sie, dass sie die von ihr regelmäßig einzunehmenden Epilepsie-Tabletten in ihrem Pkw vergessen hatte. Da ihre Schicht erst gegen 11 Uhr enden sollte, ging sie zu ihrem Auto, um die Tabletten zu holen. Auf dem Rückweg zur Arbeit stürzte sie auf einem Fußweg und brach sich das rechte Handgelenk.
Die Berufsgenossenschaft und das zuständige Sozialgericht lehnten es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Das Landessozialgericht hat die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Die Einnahme von Medikamenten gehöre nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten. Das sei dem nicht versicherten, persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Hätte die Frau mit der Einnahme der Epilepsie-Tabletten bis zum Schichtende gewartet, wäre ihre Arbeitsfähigkeit nicht gefährdet gewesen. Dies habe der durch das Landessozialgericht angehörte behandelnde Arzt so mitgeteilt. Bestehe ein bloß abstraktes Risiko, dass es ohne die regelmäßige Einnahme der Tabletten während der Arbeitszeit zu einem Epilepsie-Anfall komme, so liege die Einnahme vorrangig im privaten Interesse und damit im nicht versicherten Bereich.
Hingegen könne ein zum Versicherungsschutz führendes, überwiegendes betriebliches Interesse dann bestehen, wenn vergessene Gegenstände geholt würden, die zwingend benötigt werden, um die Arbeit fortzusetzen. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) zum Beispiel für das Holen einer Brille oder eines Schlüssels für einen Spind bejaht. Ebenso hat das BSG entschieden, dass der Weg zum Mittagessen während einer vollschichtigen beruflichen Tätigkeit grundsätzlich versichert ist. Diese Wertung lasse sich aber nicht auf das Holen vergessener Tabletten übertragen, wenn deren Einnahme nicht zwingend erforderlich sei, um die Arbeit fortzusetzen.
Auch unerheblich war im verhandelten Sachverhalt, dass die Frau, bevor sie die Tabletten aus ihrem Auto geholt habe, die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten eingeholt habe. Die Vorgesetzte habe nicht ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht ausgeübt, sondern der Frau lediglich gestattet, ihre Arbeit kurz zu unterbrechen, um einer privaten Besorgung nachzugehen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Landessozialgericht hat die Revision nicht zugelassen.