Welche Gehaltsansprüche haben die Mitglieder eines Betriebsrats, insbesondere wenn sie vollständig freigestellt sind? Widersprüchliche Urteile in der jüngsten Vergangenheit haben die Situation für Arbeitgeber nicht einfacher gemacht. Nun versucht der Gesetzgeber durch Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) für Klarheit zu sorgen.
Das Betriebsratsamt ist ein Ehrenamt. Das bedeutet: Wer in den Betriebsrat gewählt wird, darf sein Amt nicht zum eigenen Vorteil nutzen. Umgekehrt darf das Engagement im Betriebsrat auch nicht zu Nachteilen führen, nicht persönlicher und erst recht nicht finanzieller Art. Deshalb sieht § 37 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich vor, dass jede Betriebsratstätigkeit ohne Kürzung des Arbeitsentgelts ausgeübt wird. Auch dürfen keine Benachteiligungen bei Höhergruppierungen, Beförderungen oder anderen Karriereschritten erfolgen. Betriebsratsmitglieder sollen also genau die Vergütung erhalten, die sie bekämen, wenn sie normal ihrer Arbeit nachgingen. Nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder erhalten deshalb ihre üblichen Bezüge.
Viel schwieriger ist es dagegen, wenn einzelne Mitglieder des Gremiums vollständig und dauerhaft freigestellt sind – und das über mehrere Amtsperioden. Denn diese können zurecht geltend machen, aufgrund ihrer dauerhaften Tätigkeit im Betriebsrat von einer betrieblichen Karriere abgeschnitten zu sein, und deshalb eine Vergütung einfordern, die ihren betriebsüblichen Aufstieg unterstellt. So weit, so einfach. Nur: Wie lässt sich beurteilen, wie weit und wie erfolgreich die Karriere verlaufen und welches Gehalt in diesem Fall angemessen wäre? Zumal § 78 Satz 2 BetrVG jede Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern durch den Arbeitgeber schlicht verbietet.
Im Januar 2023 kam es in diesem Zusammenhang zum großen Knall: Der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Braunschweig und verurteilte Entscheidungsträger eines bedeutenden deutschen Unternehmens aufgrund von Untreue zulasten des Unternehmens, weil Mitgliedern des Betriebsrats nach Ansicht des BGH deutlich überhöhte Vergütungen und Boni gezahlt wurden (BGH, Urteil vom 10.1.2023, 6 StR 133/22).
Zahlreiche Unternehmen reagierten prompt mit deutlichen Kürzungen der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Diese allerdings akzeptierten die Verringerungen ihrer Gehälter häufig nicht und zogen vor die Arbeitsgerichte, wo sie auch überwiegend erfolgreich waren. Die betriebliche Mitbestimmungskultur wurde somit erheblich belastet und bei allen Beteiligten herrscht seitdem große Unsicherheit. Besonders für die Arbeitgeberseite ist die Situation schwierig: Wird zu viel gezahlt, droht eine Strafe – wird zu wenig gezahlt, verliert man vor dem Arbeitsgericht und wird zu Nachzahlungen verurteilt.
Nach dem Urteil des BGH ist die Bewertung einer hypothetischen Karriere zur Ermittlung von Vergütungsgrundsätzen für Betriebsratsmitglieder nach wie vor zulässig. Außerdem gibt es erste Stimmen, die sich dafür stark machen, dass auch während der Amtszeit erworbene Fachkenntnisse und Erfahrungen als Vergütungsfaktoren zugunsten der Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen seien.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erkennt die Berücksichtigung einer hypothetischen Karriereentwicklung im Rahmen der Vergütungsfestsetzung durchaus an. Danach kann jedem freigestellten Betriebsratsmitglied sogar eine höhere Vergütung als vergleichbaren Arbeitnehmern zustehen. Voraussetzung dafür ist, dass dieses Betriebsratsmitglied aufgrund besonderer Kenntnisse, Fähigkeiten oder seiner Persönlichkeit sehr wahrscheinlich beruflich erfolgreich gewesen wäre und die Übernahme des Betriebsratsamts ursächlich für diese unterbliebene Karriereentwicklung ist.
Gleichzeitig bestimmt § 37 Abs. 4 BetrVG, dass das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats nicht geringer ausfallen darf als das Arbeitsentgelt von Arbeitnehmern mit vergleichbarer betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben und dafür fachlich und persönlich gleich qualifiziert waren (BAG, Urteil vom 17.8.2005, 7 AZR 528/04). Jedes, auch jedes freigestellte Betriebsratsmitglied kann also verlangen, dass sein individuelles Entgelt nicht hinter dem der Vergleichsgruppe zurückbleibt.
Im Grunde besteht also eine Mindestvergütung v. a. für freigestellte Mitglieder von Betriebsräten, wobei die Bildung von Vergleichsgruppen nach § 37 Abs. 4 BetrVG das Begünstigungs- bzw. Benachteiligungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG konkretisiert. Weitere Vorgaben macht das BetrVG nicht. Personalchefs und Arbeitgeber müssen deshalb den Spagat zwischen einer unzulässig niedrigen und einer strafbar überhöhten Vergütung für Betriebsräte meistern.